Ablenkung vor Verkehrsverstoß kann vor einem Fahrverbot retten. Autofahrern, denen wegen einer groben Pflichtwidrigkeit ein Fahrverbot droht, kann es helfen,
sich auf ein Augenblicksversagen zu berufen. „In bestimmten Ausnahmefällen kann die grundsätzlich gebotene Aufmerksamkeit des Autofahrers kurzzeitig abgelenkt werden“, erklärt Rechtsanwalt Christian Demuth, Verkehrsstrafrechtler aus Düsseldorf, „ihm kann dann keine grobe Pflichtwidrigkeit vorgeworfen werden, sodass auch kein Fahrverbot verhängt werden darf.“
Ein grobe Pflichtwidrigkeit, die mit einem Fahrverbot zu ahnden ist, liegt zum Beispiel vor, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts um mindestens 31 km/h und außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h überschritten wird. So die gesetzliche Vorgabe. Hat ein Fahrer das Zeichen mit der Geschwindigkeitsbegrenzung jedoch nicht gesehen, weil er durch eine Unterhaltung mit anderen Fahrzeuginsassen kurzzeitig abgelenkt war, liegt seinerseits keine grobe Pflichtwidrigkeit vor. „Allerdings darf die Ablenkung ihrerseits nicht auf einem grob pflichtwidrigen Verhalten des Fahrers beruhen“, warnt Demuth, „und die Angabe muss so stimmig sein, dass sie vom Gericht nicht widerlegt werden kann.“
Obergerichtlich bereits bestätigt, sind Konstellationen dieser Art, z. B. durch das Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg (Beschluss vom 23.07.2009, Az.: 2 Ss OWi 84B/09). Im diesem Fall kam verschärfend hinzu, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung auf beiden Seiten der Autobahn ausgeschildert war. Das OLG verwies auf eine Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs, wonach auch eine beidseitige Beschilderung nur leicht fahrlässig missachtet werden kann. Zudem, so die Richter, spreche die Lebenserfahrung dafür, dass gerade nach längeren Autobahnfahrten die Aufmerksamkeit des Fahrers nachlasse, sodass ihm beim Übersehen eines Schildes nicht gleich grob pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei.
Die Krux beim hilfreichen „Augenblicksversagen“: Da es sich um eine Ausnahme handelt, müssen Richter eine solche Fallgestaltung nicht von sich aus prüfen. Sie sind nur dann dazu verpflichtet, wenn der Betroffene entsprechende Anhaltspunkte vorträgt. „In solchen Situationen ist es auf jeden Fall sinnvoll, einen Rechtsanwalt einzuschalten“, empfiehlt Demuth, „der kann im Rahmen der nur ihm zustehenden Akteneinsicht immer auch einen Beschilderungsplan anfordern und diesen mit dem Standort der Geschwindigkeitsmessanlage abgleichen und sich ein Bild von der Örtlichkeit machen.“
Denn nicht nur das wegen einer kurzen Ablenkung übersehene Schild kann ein Absehen von einem Fahrverbot rechtfertigen. Auch eine unübersichtliche Beschilderung oder eine zu dicht hinter einem Verkehrsschild, das die Geschwindigkeit regelt, aufgestellte Radaranlage können solches bewirken. Beispiel Ortseingangsschild: Die Bundesländer haben für die Geschwindigkeitsüberwachung Sollabstände zum Ortseingangsschild definiert. In Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen sind es z.B. 150 m, in Rheinland-Pfalz und Hessen 100 m. Wird eine Geschwindigkeitsmessung entgegen der Richtlinie unmittelbar hinter der Ortstafel vorgenommen, so ist das dem OLG Dresden (Beschluss vom 27.08.09, Az.: Ss OWi 410/09) zufolge ein Umstand, der eine Ausnahme vom Fahrverbot ermöglichen kann. „Die Sollabstände basieren zwar auf innerdienstlichen Vorschriften“, erläutert Demuth, „sie sichern aber in vergleichbaren Kontrollsituationen die Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer.“
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